Zwischen Tradition und Moderne
Ernst Laur, Professur an der ETH Zürich und Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes
Mit dem Beginn des Agrarschutzes durch Zölle und Subventionen kam Ernst Laur, Mitgründer des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV), ans Polytechnikum. Durch seine Dreifachfunktion (Verbandsdirektor, Bauernsekretär und Professor) war Laur eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im öffentlichen Leben der Schweiz in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.
Der gebürtige Basler lehrte bis 1939 an der ETH. Gleichzeitig war er politisch aktiv. So forderte er vom Bundesstaat Preisschutz und Einfuhrregelungen für die Bauernschaft – mit nachhaltigem politischem Erfolg. Seine rege Publikations- und Vortragstätigkeit machte ihn überregional bekannt, was ihm 1898 bei der Wahl zum Leiter des neu geschaffenen Schweizerischen Bauernsekretariats und gleichzeitig zur Anstellung als Geschäftsführer des ein Jahr zuvor gegründeten Schweizerischen Bauernverbandes half, dessen Direktor er später wurde. Ab 1901 lehrte er am Eidgenössischen Polytechnikum als Privatdozent für Agrarpolitik, von 1908 bis 1937 als ordentlicher Professor für Landwirtschaft mit Schwergewicht Betriebslehre.
Laur und die landwirtschaftliche Betriebslehre
Während Laur in der Öffentlichkeit wortgewaltig eine sozialromantische Bauerntums-Ideologie verbreitete, war er überzeugt, dass die Landwirtschaft nur mit einem kontrollierten Strukturwandel ihren Platz in der Industriegesellschaft erhalten könne. Die bäuerlichen Betriebe sollten nach betriebsökonomischen Kriterien modernisiert werden. 1907 veröffentlichte Laur dazu sein Hauptwerk «Landwirtschaftliche Betriebslehre für bäuerliche Verhältnisse», das in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Neuauflagen sowie Übersetzungen in andere Sprachen erfuhr und internationale Beachtung fand. Laur verbreitete sein selber erfundenes, vereinfachtes Buchhaltungssystem mit doppelt geführter Buchhaltung, in welcher Bauernbetrieb und Bauernhaushalt getrennt waren. Laurs Lehrbücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und hatten mehrere Auflagen. In den nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Staaten Ost- und Mitteleuropas galt Laur als Vorbild und Garant des bodenständigen Bauerntums gegenüber den Grossgrundbesitzern.
Ein Zollgesetz zur «Erhaltung eines gesunden Bauernstandes»
Zusätzlich zur Modernisierung der Landwirtschaftsbetriebe sollte der Staat den Agrarsektor durch protektionistische Massnahmen gegen ausländische Konkurrenz schützen. Die Forderung der «Erhaltung eines gesunden Bauernstandes» wurde schliesslich 1951 im Landwirtschaftsgesetz festgeschrieben und alsbald mit Preisgarantien, Einfuhrbeschränkungen, Einfuhrverboten, Übernahmeverpflichtungen, Zollerhebungen, Exportsubventionen, Konsumverbilligungen, Anbauprämien usw. verwirklicht – ein agrarpolitisches Vermächtnis Laurs, das bis heute nachwirkt.
Als Bauernsekretär wollte Laur den Bauern mehr wirtschaftspolitische Mitsprache ermöglichen. Er brachte seinen Einfluss in den Entwurf des Zollgesetzes ein und erreichte, dass alle Bauernverbandsdelegierten am 22. Februar 1902 dem neuen Zollgesetz einstimmig zustimmten.
Das Schweizer Bauernsekretariat als politischer Wegbereiter
Durch seine Dreifachfunktion (gleichzeitig Verbandsdirektor, Bauernsekretär und Professor) genoss Laur einen unvergleichlichen Einfluss auf das öffentliche Leben der Schweiz. Das vom Bund subventionierte Bauernsekretariat wurde unter ihm zu einer wissenschaftlichen Dienststelle ausgebaut. Deren statistische Erhebungen stützten die Interessenvertretung des Bauernverbandes (SBV) und lieferten Material für die offizielle Agrarpolitik der Schweiz sowie die Grundlagen für Laurs Betriebswirtschaftslehre. An der ETH bildete er als Professor die künftige agrarwissenschaftliche Elite aus, die danach im Bauernsekretariat tätig war oder im Nationalrat als Vertreter der Landwirtschaftslobby wirkte.
Landwirtschaft in der Verfassung
Laur setzte sich auch für die Verankerung der Landwirtschaft in der Bundesverfassung ein. Am 6. Juli 1947 nahmen die stimmberechtigten Männer schliesslich den Wirtschaftsartikel 31bis in der Bundesverfassung an, der erstmals einen gesunden Bauernstand und eine leistungsfähige Landwirtschaft sowie die Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes in die Verfassung festschrieb.
1939 wurde Laur durch einen Verkehrsunfall zum Rücktritt aus dem Direktorium des SBV und von seiner Professur gezwungen. Er blieb aber weiter für die Landwirtschaft aktiv. Von 1904 bis 1945 gestaltete er als Delegierter des Bundesrates für Handelsverträge zusammen mit Vertretern der Industrie die schweizerische Zollpolitik mit. Von 1948 bis 1950 präsidierte er die Europäische Agrarunion (Confédération Européenne de l'Agriculture). Am 30. Mai 1964 starb Ernst Laur an seinem Wohnort in Effingen AG im Alter von 93 Jahren.