Ernährungssicherheit

Wie die «Anbauschlacht» die Ausbildung für Agronom*innen mitprägte

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Friedrich Traugott Wahlen studierte und promovierte an der ETH Zürich. Unter seiner Leitung wurde die «Anbauschlacht» zur Erhöhung der inländischen Nahrungsmittelproduktion im zweiten Weltkrieg geplant und umgesetzt. Als Professor für Pflanzenbau, stellvertretender Generaldirektor der FAO und Bundesrat verband er wissenschaftliches Know-how mit politischer und gesellschaftlicher Gestaltungskraft.

Nie wird die gesellschaftliche Rolle der Landwirtschaft deutlicher als in Krisenzeiten. Mit dem Beginn des zweiten Weltkriegs versuchte der Bund die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln durch Ertragssteigerungen und die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Produktion sicherzustellen. Mit der von Friedrich Traugott Wahlen entworfenen und umgesetzten «Anbauschlacht» wurde versucht, sämtliche zur Verfügung stehenden und geeigneten landwirtschaftlichen Flächen, Produktionsmittel und Arbeitskräfte für die Ausdehnung des Ackerbaus einzusetzen. Zusammen mit einem sparsamen Umgang mit Vorräten sollte auf diese Weise sichergestellt werden, dass die Schweiz sich auch bei einem Rückgang der Nahrungsmittelimporte selbst versorgen könnte.

Friedrich Traugott Wahlen war zu diesem Zeitpunkt Direktor der landwirtschaftlichen Versuchsanstalt Zürich-Oerlikon, dem heutigen Agroscope Standort Reckenholz, sowie Chef der Sektion für landwirtschaftliche Produktion im sogenannten Kriegsernährungsamt. Sein agronomisches Know-how hatte er sich zuerst an der Landwirtschaftlichen Schule Rütti und ab 1917 im Studium der Agronomie an der ETH erworben. Nach seiner Dissertation zur Überwinterung mehrjähriger Leguminosen, die er 1922 ebenfalls an der ETH abschloss, arbeitete und forschte er an landwirtschaftlichen Versuchsanstalten in Deutschland, England, den Niederlanden und Kanada.

Selbstversorgung und Symbolik

Die Umsetzung der Anbauschlacht war insofern eine ausserordentliche Leistung als in den Kriegsjahren 1940–1945 die Ackerflächen in der Schweiz um 158'000 ha ausgedehnt wurden. Das entsprach einer Erhöhung um 77 %. Die Logik dahinter war, dass Ackerprodukte wie Gemüse, Kartoffeln und Getreide direkt der menschlichen Ernährung dienen und zum damaligen Zeitpunkt zehnmal mehr Kalorien pro Hektare liefern konnten als Milch- oder Fleischprodukte. Die Selbstversorgung, d. h. der Anteil der inländischen Produktion am Verbrauch von Nahrungsmittel, stieg dadurch von brutto 52 % auf etwas mehr als 70 %. Allerdings sank der durchschnittliche Kalorienverbrauch während der Kriegsjahre und lag vor Kriegsende bei 2100 kcal pro Person. Gemessen am Verbrauch vor dem Krieg stieg die Selbstversorgung daher netto lediglich um rund 7 % auf 59 % des eigentlichen Bedarfs.

Neben diesem Mehranbau hatte die «Anbauschlacht» aber auch wichtige symbolische Kraft. Basierend auf einer gut organisierten Propaganda repräsentierte die «Anbauschlacht» auch den Widerstandswillen und die Selbstbehauptung der Schweiz. Die Produktion von Lebensmitteln wurde mit dem Kampf für Vaterland und Unabhängigkeit gleichgesetzt. Das Symbol der «Anbauschlacht» wirkte sich dann auch stark auf die Agrarpolitik der Nachkriegsjahre aus. Sie bildete das Rückgrat einer auf Produktions- und Sicherungsziele ausgerichteten Agrarwirtschaft. Dieses Denken und Handeln prägten auch die Ausbildung der Agronom*innen in der Mitte des letzten Jahrhunderts an der ETH.

Von der Tabelle zum mathematischen Modell

In der Forschung fand die Anbauplanung im Rahmen der Schweizer Ernährungsplanung seine Fortsetzung. Mit dem Einzug des Computers wurden in den sechziger Jahren mathematische Programmierungsmodelle entwickelt, die eine Mehrjahresplan zur Agrarproduktion und Lagerhaltung ermöglichten, um die Ernährung der schweizerischen Bevölkerung sicherzustellen. Die Erarbeitung der Grundlagen für die Schweizer Ernährungsplanung blieben aber nicht lange an der ETH. Die mathematischen Modelle und die entsprechenden Aufträge des Bundes «wanderten» mit den Personen, die die Modelle kannten und entwickelten – von der ETH an die Universität Fribourg und mittlerweile wieder zurück an ihren Ursprung, an die Agroscope, die landwirtschaftliche Forschungsanstalt des Bundes.

Professor, Direktor, Bundesrat

Friedrich Traugott Wahlen blieb auch nach dem Krieg ein Mann der wichtigen Funktionen. Er wurde noch während des 2. Weltkrieges Professor für Pflanzenbaulehre an der ETH Zürich (1943–1949) und wurde anschliessend Direktor der Abteilung für Landwirtschaft der Food and Agriculture Organization (FAO). Dieses Amt führte ihn nach Washington und anschliessend auch nach Rom, wo er Ende der 50er Jahre auch Vizedirektor der FAO war. Seine Strahlkraft ging aber weit über die Landwirtschaft hinaus. Er stieg 1942 als Ständerat auch in die Politik ein und wurde schliesslich 1959 Bundesrat. Er übernahm das Justiz- und Polizeidepartement und führte im Laufe seiner Karriere auch das Volkswirtschaftsdepartement sowie das Eidgenössische Politische Departement.